"Kennst du das Land, wo die Neurosen blühen?" Wenn es dieses
real-existierende Utopia in Europa irgendwo gäbe, dann gegenwärtig sicherlich
in Deutschland - und Rußland. Zu einer wahren deutsch-russischen Problemverbrüderung
in teils feuchtfröhlicher, ausgelassener Wodka-Laune kam es in Sorokins
Farce, die in einer unglaublich schrägen Form offeriert wurde (durch die
lange Rampe auf der Bühne wörtlich zu nehmen!).
Eine junge Jüdin, von Ricarda Ciontos herrlich vulgär und durchgeknallt
gespielt, emigriert aus der für sie peinigenden Sowjetunion, um
in Israel, später in Europa, vorwiegend ihren Trieben und Männeraffären
nachzugehen. Ihr Herz verliert sie zuletzt ausgerechnet an den verklemmten
Günther
(von Alexander Ebeert liebenswert blockiert-bubenhaft gespielt), der,
wie sich herausstellt, der Sohn eines ehemaligen bluttriefenden SS-Führers
ist,
während sie selbst sich als Tochter einer sadistischen stalinistischen
Untersuchungsrichterin entpuppt
Ein ungleiches Paar, eine AI dinöse Jüdin, die immerfort von
den Schwänzen
der Männer" träumt und ein männliches Gretchen, das
für die Schuld
seines Vaters büßen möchte und sich von ihr auspeitschen
läßt. Die Sache
kann dann eigentlich nur noch verrückter werden, so etwa, wenn ein
jüdischer
Psychiater (Robert Neuschmid) sich über einen Deutschen belustigt.
der auf den Knien in einer Toilette vor ihm um Verzeihung wegen der
Untaten
der Väter bittet und das Pärchen in Uniform kostümiert
seine Hochzeitsreise auf den Obersalzbert unternimmt.
Unter der Regie von Andreas Marent, den einfühlsamen, bisweilen
irritierenden Klängen von Sergej
Letov und einem sparsamen Bühnenaufbau entstand eine geschliffene
Inszenierung mit einem überzeugenden darstellerischen Komplettpaket
Ein Bewältigungs-Potpourri, ein Szenengemenge, ein chaplineskes Panoptikum,
das ohne schlimmen didaktischen Zeigefinger auskommt und dabei immer an
die Grenzen des Zuverlässigen stößt.
Ist man dem geziemenden Ernst, den diese Problematik verlangt, allmählich
überdrüssig geworden? Es scheint so. Auch Felix Mitterer griff zuletzt
ins rein Komödiantische, um auf diese Weise vielleicht zugleich auch Distanz
in dem so angestrengt Bemühtsein um Klären der eigenen Vergangenheit zu
bieten.
Russische Vergangenheitsbewälägung steht erst noch richtig bevor,
wenn man sich nur die antisemitischen Exzesse zu Stalins Zeiten, aber
auch die rigide Vorgangspraxis seiner Nachfolger vor Augen führt.
Wird aus dem Russen dann ein im: 7 gleichen Boot wie der Deutsche sitzender,
verzagender Zukunftsneurotiker? Wahrscheinlich ist hier wirklich nötig,
ein Stück Abstand zu gewinnen.